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Brexit: Interview zu den Herausforderungen des UK-Austritts mit Arne Mielken

Arne Mielken, Geschäftsführer der Customs Manager UK Ltd. und Vize-Präsident des Institute of Export & International Trade, begleitet britische und europäische Unternehmen bei der Vorbereitung auf den Brexit. In einem Interview mit der AWA äußert er sich über die Herausforderungen des UK-Austritts.


Was bedeutet das Ende der Übergangsphase für Importeure und Exporteure in der EU und GB?

Ab dem 1. Januar 2021 werden Unternehmen aus der EU, die derzeit Waren aus dem Vereinigten Königreich erwerben und diese auf dem EU-Markt in Verkehr bringen, zu Importeuren, während die Unternehmen, die derzeit Produkte im Vereinigten Königreich vertreiben, zu Exporteuren werden. Die Grenzen zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich (VK) werden wieder hochgefahren, selbst im Falle eines umfassenden EU-VK Freihandelsabkommens. Die sich ändernden Zoll- und Handelsbestimmungen stellen europäische und britische Unternehmen vor erhebliche Herausforderungen, unabhängig davon, ob sie importieren oder exportieren. Uns erwarten möglicherweise Verzögerungen durch Staus an den Grenzübertritten, erhöhter Papierkram durch notwendige Zollanmeldungen und steigende Verwaltungs-, Zoll- und Einfuhrkosten. Zusätzlich ändert sich die Gesetzgebung auf der britischen Insel. Für Unternehmen ist es fast unmöglich, hunderte von Seiten der sich ständig ändernden Gesetze zu lesen, zu verstehen und danach zu handeln.

Welche Änderungen erwarten uns zum Beispiel aus zoll- und exportkontrollrechtlicher Sicht?

Ab dem 1. Januar 2021 werden Exporteure aus oder Importeure in die EU die im Unionszollkodex oder der Dual-Use-Verordnung für Waren mit doppeltem Verwendungszeck genannten Pflichten erfüllen müssen. Wer Waren nach Großbritannien ein- oder ausführt, muss sich mit den dort geltenden Vorschriften auseinandersetzen, die von den Vorschriften der EU abweichen. Damit gelten in beiden Ländern dieselben Zollformalitäten und Bescheinigungs- bzw. Genehmigungsvorschriften wie beim Handel mit Drittländern. Vorzugsbehandlungen gibt es ohne Freihandelsabkommen dann nicht mehr.

Dies bedeutet konkret:

Bei der Ausfuhr sind Ausfuhranmeldungen (inklusive Sicherheitsanmeldungen) abzugeben und mögliche Ausfuhrbeschränkungen zu prüfen. Bei der Einfuhr müssen Waren nun gestellt werden, dann zur vorübergehenden Verwahrung und einem nachfolgenden Zollverfahren angemeldet werden, also z.B. freier Verkehr, Versand, Zolllager oder Veredelung. Auch dort können Sicherheitsanmeldungen erforderlich sein. Bei exportkontrollrelevanten Waren muss geprüft werden, ob eine Genehmigungspflicht besteht und welches Antragsverfahren in Frage kommt. Kurzum, wer 2021 noch Handel mit dem Vereinigten Königreich oder der EU betreiben möchte, muss sich im Zoll- und Exportkontrollrecht gut auskennen.

Was gibt es außerdem zu beachten?

Bedenken Sie, dass die in der EU oder VK in Verkehr gebrachten Produkte ordnungsgemäß etikettiert und gekennzeichnet sein müssen. Ist nach dem Unions- oder britischen Recht eine Zertifizierung durch eine EU oder VK-Behörde erforderlich – wie etwa bei einigen Medizinprodukten, Maschinen oder Bauprodukten –, so dürfen Produkte, die von in der EU oder VK ansässigen Stellen zertifiziert wurden, nicht mehr in Binnenmarkt der EU bzw. VK in Verkehr gebracht werden. Für die EU wird meistens das „CE“ Logo verwendet, im VK soll „UKCA“ benutzt werden.

Auf welche Unternehmen kommen die größten Herausforderungen zu?

Mit dem Brexit sind diejenigen Unternehmen besonders gefordert, die sich bislang nicht mit dem europäischen oder britischen Zollrecht auseinandersetzen mussten, weil sie lediglich ausschließlich mit dem VK bzw. der EU Handel getrieben haben. Der EU-Austritt macht das Vereinigte Königreich zum Drittland. Damit gelten die Handelsregeln und Zollvorschriften der EU mit Drittländern. Wer sich nicht vorbereitet, bereitet sich auf das Scheitern vor.

Des Weiteren sollten diese Unternehmen besonders achtgeben:

Unternehmen, die einem hohen Zollsatz unterliegen werden:
Sollte es zu keinem Freihandelsabkommen ohne Zölle und Quoten kommen, fallen Einfuhrgebühren an. Diese können, z.B. bei tierischen Produkten oder Keramik, sehr hoch ausfallen und damit die Marge komplett auslöschen. Lieferketten und Alternativen sollten frühzeitig überprüft werden.

Unternehmen, die präferenzielle Ursprungsregeln beachten:
Eigentlich werden alle Unternehmen ab 1. Januar 2021 auch die Ursprungseigenschaft der gehandelten Waren nachweisen müssen. Auf Waren, die die Ursprungsvoraussetzungen nicht erfüllen, werden Zölle erhoben, selbst wenn die EU und das VK ein zoll- und kontingentfreies Handelsabkommen schließen. Allerdings ist dies besonders im Rahmen eines etwaigen künftigen Abkommens zwischen der EU und den VK wichtig, um Präferenzvorteile ausnutzen zu können. Unternehmen, die Handel mit EU-Präferenzpartnerländern treiben, können beeinträchtigt werden. Denn alle Vorleistungen des VKs (sowohl Vorprodukte als auch Verarbeitungsvorgänge) müssen im Rahmen der EU-Präferenzregelungen fortan als „ohne Ursprungseigenschaft“ behandelt werden. Übrigens: In Großbritannien erwarten wir, das die sogenannte Kumulierung des EU-Ursprungs erlaubt ist, VK-Unternehmen also einen Vorteil gegenüber EU-Unternehmen genießen.

Unternehmen, die Handel mit Nordirland betreiben:
Es gelten besondere Regeln, die noch ausverhandelt werden. Es ist sehr wichtig, stets auf dem Laufenden zu bleiben. Für den EU-Handel mit Nordirland gilt weiterhin weitgehend das Unionsrecht, allerdings bedarf es besonderer Warenkennzeichnung. Der GB-Handel mit Nordirland wird komplizierter und wohl durch ein neues Trader Support System geregelt.

Unternehmen, die eine EU oder VK Zulassung benötigen:
Am Beispiel des Handels mit Chemikalien wird deutlich: Die EU-Vorschriften zur Registrierung, Bewertung, Zulassung und Beschränkung chemischer Stoffe (REACH) gelten im VK nicht mehr. Registrierungen, über die im Vereinigten Königreich niedergelassene Hersteller und Produzenten verfügen, sind in der EU nicht mehr gültig. Produkte oder Stoffe müssen also bei einem Hersteller oder Importeur in der EU bzw. VK registriert sein, um sie weiter zu vertreiben.

Unternehmen, die mit kontrollierten Gütern handeln:
Unternehmen, die mit kontrollierten Waren handeln, werden ab 1. Januar 2021 möglicherweise besonderen Ein- und Ausfuhrkontrollen ausgesetzt sein, und Bescheinigungen und Genehmigungen vorlegen müssen, derer es vorher nicht bedurfte. Im Bereich der Ausfuhrkontrolle könnte es z.B. zur Notwendigkeit von Einzelausfuhrgenehmigungen kommen.

Kraftverkehrsunternehmen:
Durch Verlust der Gemeinschaftsgenehmigungen könnte der Zugang zum Binnenmarkt für VK-Transportfahrzeuge eingeschränkt werden. Es wird zu Grenzkontrollen kommen. Längere Fristen sind zu berücksichtigen, die durch diese zusätzlichen Grenzkontrollen und -formalitäten bedingt sind.


Über den Autor

Arne Mielken berät nationale und internationale Mandanten seit mehr als 15 Jahren in Zoll-, Handelsabkommen- und Ausfuhrkontrollangelegenheiten. Seit 2016 begleitet er britische und europäische Unternehmen bei der Vorbereitung auf den Brexit. Als aktives Mitglied der Trade Contact Group bei der DG-TAXUD, dem britischen Pendant JCCC und als Vorstandsmitglied der UK Export Control Profession verteidigt er die Interessen europäischer Unternehmen beim Gesetzgeber. Er ist Vize-Präsident des Institute of Export & International Trade (IOE&IT) in London, UK und Geschäftsführer der „Customs Manager Ltd. UK".

Kontakt:

Arne Mielken
Geschäftsführer der Customs Manager UK Ltd.
+44 7914650183
arne.mielken@customsmanager.com  
www.customsmanager.com
www.linkedin.com/in/arnemielken/

Quellenangaben

Arne Mielken
Vize-Präsident des Institute of Export & International Trade (IOE&IT) // London, UK

Redaktionell bearbeitet durch

Matthias Merz, Geschäftsführer der AWA AUSSENWIRTSCHAFTS-AKADEMIE GmbH, Münster

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